Lebensretter

Ja, ich lebe…
Ich atme, ich spüre dieses Atmen wieder. Wärme umströmt mich. Es ist früh am Morgen; der Kaffee duftet so gut; draußen noch dunkel; der Tag darf werden.
Und doch zieht bereits ein Tross an Autos an meinem Haus vorbei, wieder zu den Tageszielen unterwegs. Ob die Insassen bemerken, dass bald die Sonne aufgeht und dies in einem zarten Lichtschein ankündigt?

Wir sind auf dieser Erde und stehen immer wieder vor der Frage: Was ist für mich l(L)eben? Irgendwie spüren wir schon, wenn unser Tun, nicht unserem Wesen entspricht; wir hinter Masken verschwunden sind.
Unsere Gesellschaft zwingt uns häufig eine solche Maske auf. Oft suchen wir auch danach, weil wir einem Idealbild entsprechen wollen mit Unterstützung (Beeinflussung?) unserer medialen Welt. Wir müssen perfekt sein, was nicht erfüllbar ist.
Ich habe festgestellt, dass ich, besonders auf schweren Lebenswegen, mit dem Aufrechthalten der perfekten Fassade absolut überfordert war und hierin keinerlei Halt gefunden habe.

Es ist gut eingerichtet, dass wir in den schweren Phasen häufig erstmal funktionieren, aber eine Rückkehr ins Leben ist am Ende existenziell.
Nachdem bei mir die ersten Tränenmeere versiegt waren, war alles weit entfernt. Ich habe das immer als meine Käseglocke bezeichnet. Irgendwie blieb alles an Emotionen draußen. Wie wunderbar: „Ich funktioniere!“ Ich kann diese schlimmen Dinge von mir fern halten; irgendwie wie ein Roboter. Das Fatale daran war aber, dass leider die positiven Emotionen ebenfalls Stück für Stück verschwanden. Das Fühlen wurde stumpfer, wie in einem Vakuum. Man kann sich selbst immer weniger spüren und das Leben scheint nur außen vorbeizuziehen. Es duftet nicht mehr, es klingt nichts mehr, man fühlt nichts mehr… Auch ist man häufiger unzufrieden und sieht nur noch die negative Seite der Dinge.

Herbert Grönemeyer bescreibt dies so wunderbar:
„Tausend Haare in der Suppe und dein Löffel hat ein Loch. Es fällt keine Sternschnuppe, deine Kerze hat keinen Docht…“

Herbert Grönemeyer Song „Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht“; Album „Mensch“

Das Leben (oder vielleicht Gott?) stellt Ereignisse in den Weg, mit denen man Stück für Stück aus dieser inneren Abgeschirmtheit ausbrechen kann.
Eine meiner Herausforderungen hieß: Trauern lernen. Ich kam in Situationen, die mich mit meinem Schmerz konfrontiert haben. Gott sei Dank, ich habe mich gestellt.

Einmal saß ich mit Kollegen im Auto. Im stumpfen aus dem Fenster Schauen, war da plötzlich ein Lied im Autoradio. Ich kannte es nicht, aber es beschrieb das Gefühlschaos, welches über uns hereingebrochen war, als mein Mann für immer ging. Es stimmte jedes Wort!
Ich hatte das Gefühl, dieses Lied wird nur für mich gesungen. Mir verschlug es einen Moment die Sprache; Herzklopfen. Echt krass, Gott sah meine Not (!), die mir in diesem Moment selbst noch nicht bewusst war.

Zu Hause angekommen, habe ich das Lied gesucht. Es immer und immer wieder gehört über viele Wochen … und geweint, geweint, geweint…
Ich konnte bis dahin fast nicht mehr weinen und nun hatte ich Angst, dass der Strom nicht mehr endet. Es war, als ob ein Stöpsel gezogen wurde. Keine Angst, es hört wieder auf! Danach war einer der vielen Knoten auf meiner Seele gelöst. Ich frage mich bis heute: „Wo sind diese Knoten nur hergekommen?.“ Ich fühlte mich ausgeweint, aber auch befreit. Es war ein Trauerprozess, der mit diesem Erlebnis begann.

JA, es tat weh, aber es kamen auch Stück für Stück die schönen und wunderbaren Gefühle, das Leben, zurück.

Es hatte mit einem Lied begonnen und die Einsicht, dass mein Leben zurückkommt, begann wieder mit einem Lied.
Eine Freundin hatte mich zu einer christlichen Band eingeladen, die ich nicht kannte. Es war ganz spontan, eine Stunde vor Beginn des Konzerts sind wir aufgebrochen und es gab Restkarten.
Wieder hatte ich den Eindruck, ein Lied sei nur für mich. Albert Frey hatte nach Psalm 30 „Mein Lebensretter“ geschrieben. Im Refrain heißt es:

„Du hast aus klagen Tanzen gemacht; Du hast statt trauer Freude gebracht; Durch meine Tränen Jubel zu dir entfacht; Mein Lebensretter.“

Albert Frey, Mein Lebensretter, Album Urklang nach Psalm 30

Diesmal kamen mir Tränen der Dankbarkeit, weil ein heilsamer Weg begonnen hatte. Ich konnte nur staunen.

Vielleicht ist das echte Leben bei Dir auch verschwunden. Es muss nicht durch einen Schicksalschlag gekommen sein. Es gibt so viele Gründe … Zeitdruck, Stress, das Aufrechterhalten einer Lebensfassade, Sorgen, Ängste, Neid, Streit, Unversöhnlichkeit, Sucht, Selbstzweifel usw.

Es lohnt sich Ausschau zu halten, nach Dingen, die etwas in Gang setzen wollen; ein Traum, ein Plakat am Straßenrand, Gedanken bei einem Spaziergang, ein Bibelvers, ein Kunstwerk usw. Vielleicht ist auch Lauschen dran, auf jeden Fall ist es wiedereinmal spannend 🙂

Du musst es nicht allein schaffen, Du darfst Dir Hilfe suchen, z.B. Seelsorgeangebote. Mir hat meine Kirchgemeinde Halt gegeben.

Wenn Du noch keine Kirche hast, findest Du vielleicht auch eine christliche Gemeinde in Deiner Nähe, die zu Dir passt. Ich weiß, dass es eine Schwellenangst gibt. Soll ich da wirklich hingehen? Das ist alles so fremd und bin ich auch wirklich willkommen? Gerade die alteingesessenen Konfessionen vermitteln, durch ihre festen Abläufe im Gottesdienst, einen distanzierten Eindruck.

Auch wenn Du das nicht auf den ersten Blick feststellst, es verbirgt sich, hinter den Äußerlichkeiten des Gemeindelebens, Gottes Liebe zu Dir; Ankommen dürfen und Angenommen sein, echter innerer Frieden, Heilung der Seele und irgendwann auch wieder die spürbare Fülle des Lebens.

Nur Mut, Du bist willkommen! Es sitzen dort Menschen wie Du und ich, mit ihrem Leben beschenkt, aber auch mit Narben und Zerwürfnissen. Christen haben die gleichen Hürden zu meistern, die auch mit Glaube, immer wieder den Weg versperren. Der Unterschied ist, dass man es nicht allein schaffen muss. Jesus geht mit, wenn wir es wollen. Es ist nur ein Gebet nötig.

Dein Leben klopft an Deine Tür. Machst Du auf?

Sei behütet!

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