30 Jahre

Im letzten Jahr jährte sich der Mauerfall zum 30. Mal und nächste Woche feiern wir 30 Jahre Einheit. Was mit Kerzen in Kirchen begonnen hatte, gipfelte in eine nie erwartete Öffnung und alles verlief friedlich. Mitten in der Pubertät habe ich den Mauerfall als so einschneidend erlebt, dass mich heute noch ein Schaudern erfasst. Solche Tage im kollektiven Gedächtnis einer Generation gibt es wenige. Fast alle, die es erlebten, können noch berichten, was sie getan, gedacht, gefühlt haben.
Diese Geschehnisse begannen lange vorher, so ganz anders, leise mit Kerzen und Gebeten. Trägt dies Gottes Handschrift? Für mich lautet die Antwort: JA!

Vor einigen Jahren haben wir die Gedenkstätte Marienborn besucht, ein erhaltener Deutsch-Deutscher Grenzübergang. Es sieht dort alles noch so real aus. Plötzlich war dieses vergessene, beklemmende Gefühl wieder da.
Ich war noch ein Kind und es gab Dinge, die durfte ich nur zu Hause sagen. Nur nichts falsch machen, nicht anecken, unsichtbar, angepasst: „Du möchtest doch gern studieren, oder?“ Wie unbezahlbar ist Demokratie, schützenswert! Wie unbezahlbar ist die Freiheit, in der wir jetzt leben dürfen.

Ich bin in den letzten Wochen oft über den Begriff Freiheit gestolpert.

Da ist dieses Schild, im Urlaub; schon vorbei, bin ich noch einmal umgedreht: „Habe ich das gerade richtig gelesen?“…

Fragmente oder Sätze wie:

„Alle die von Freiheit träumen, sollen das Feiern nicht versäumen, Sollen tanzen auch auf Gräbern…“

Marius Müller-Westernhagen; Song: Freiheit

„die Freiheit eines jenen beginnt dort, wo die Freiheit eines anderen aufhört.“

Immanuel Kant

Ist das wirklich Freiheit? Leben ohne Konventionen… Gibt es auch eine andere Seite von Freiheit, die im Entfalten auch Zerstörerisches enthält? Was ist überhaupt Freiheit?
Wir erleben gerade eine Zäsur, das Virus hält uns auf, schränkt ein, einige müssen ausbrechen, ohne Rücksicht. Ist Wirtschaftswachstum wirklich alles? Die Märkte bestimmen. Es wird mit Lebensmitteln als Investment gehandelt und viele Menschen können sich nicht einmal Grundnahrungsmittel leisten. Würden wir da nicht auch nach Europa wollen? Keiner hat es in der Hand, in welchem Land er geboren wird!!!

Wie kann ein gläubiger Mensch, ein Christ von Freiheit schreiben?
Ist es nicht der Widerspruch in sich, mit all den Regeln und Geboten, die im Christentum bestehen. Bedeutet es nicht, dass ich als Christ gegen den Zeitgeist leben muss, unmodern, kontrovers, aneckend, weltfremd, anstrengend, in Regeln gefangen, unfrei? Und nun habe gerade ich dieses Thema in den Weg gestellt bekommen und kämpfe schon Wochen mit diesem nächsten Blogeintrag…

Kennst Du das, wenn du schläfst, träumst und dann mit dem tiefen Bewusstsein aufwachst, dass es ein ganz besonderer Traum war! Das ist mir vor Jahren passiert:

Ich lebte in diesem Traum in einer großen und hellen Villa. Alles war toll eingerichtet und einladend, ich habe nur gestaunt. Mein Mann war wieder da und ich habe mich so sehr gefreut; alles ist wieder gut. Ich war mir so sicher; die echte Welt, mein Erlebtes, war nur ein Traum. Es gab einen Haken: Um das Haus herum war ein dunkler Garten mit einer hohen schwarzen, von Moos bedeckten, klitschigen Mauer. Zurück, lieber im Haus bleiben! Ich betrachtete angstvoll dieses unüberwindliche Etwas. Plötzlich wachte ich auf, mit dem Satz im Ohr: „Du musst rausgehen!“

Was für ein inneres Bild. Ich spüre in mir diesen Widerstand, diese Mauer ist wirklich da. Sie schnürt ein, drückt, beschwert, das Atmen wird schwer, sie will mich vom Weitergehen und Loslassen abhalten. Wo ist sie nur hergekommen und wie soll ich sie überwinden?
Ich habe den Auftrag bekommen hinauszugehen! Nun renne ich seit Jahren gegen diese Mauer an, mal energisch, mal verzagt, mal mutig; so wie vor 31 Jahren die Demonstranten: trotzdem friedlich, mit Jesus als mein Licht, das ich, mit meinem Kreuz am Hals, symbolisch vor mir hertrage, im Gebet, in der Dankbarkeit, im Geschenk des Schreibens…

Meine Mauer heißt annehmen müssen, trauern, loslassen, allein weitergehen mit neuen Herausforderungen. Du hast vielleicht andere Dinge, die Dir die innere Freiheit rauben: Unruhe, ständiger Tatendrang, um nicht Nachdenken zu müssen, Sucht, Krankheit, Angst, Sorgen, Unversöhnlichkeit für Dinge, die dir andere zugefügt haben, Streit, Geltungsbedürftigkeit, eine Schuld, die Du Dir nicht vergeben kannst oder die Dir nicht vergeben wird, Konsum, Zerwürfnisse mit Dir nahestehenden Menschen usw.

Diese Dinge türmen sich vor uns auf, nehmen Raum ein, besetzen die Gedanken und verhindern ein Weitergehen, ein vorwärts gerichtetes Leben.

Mich hat eine Bibelstelle sehr herausgefordert:

Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes.

Lukas 9, 62 Lutherübersetzung

Was für eine harte Aussage. Ich habe mit diesen Worten lange kämpfen müssen und für mich Folgendes daraus gezogen:
Gott hält so viele gute Dinge für uns bereit, aber wenn wir uns innerlich gefangen nehmen lassen, also zurück sehen, nicht im Jetzt leben, werden wir nichts davon wahrnehmen. Ich habe mich entschieden vorwärtsgerichtet zu leben und das fühlt sich oft nach harter Arbeit an, aber es liegt im Loslassen auch ein Segen. Im Vorwärtsgehen gehe ich meine Mauer an der Hand von Jesus an. Ich habe dabei meine persönlichen Wunder, Beschenktsein, Segen und Freude erlebt. Die Mauer ist noch nicht weg, aber schon durchschimmernd, an manchen Stellen eingestürzt und durchlässig, oft mit einer tiefen inneren Freiheit. Es ist wieder ein Weg, den ich hoffentlich durchhalte und am Ende wird dann die Ernte stehen 😊.

Hier noch eine Bibelstelle, die ich nur bejahen kann:

Mit dem „Herrn“ ist Gottes Geist gemeint. Und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.Wir alle aber stehen mit unverhülltem Gesicht vor Gott und spiegeln seine Herrlichkeit wider. Der Herr verändert uns durch seinen Geist, damit wir ihm immer ähnlicher werden und immer mehr Anteil an seiner Herrlichkeit bekommen.

2. Korinther 3, 17-18 Übersetzung Hoffnung für Alle

Gott hat uns den Heiligen Geist geschenkt, der uns begleitet, tröstet und trägt, Menschen Kraft gibt (auch für Vergebung), so viel, dass einige als Märtyrer sterben. Er kann innerlich frei machen und uns verändern.

Wir müssen bei Gott keine Stereotype sein.
Wir müssen auch nicht stur im Zwang Gebote erfüllen. Wenn dies eine Kirche, Gemeinde usw. von mir verlangt, melden sich Alarmglocken. Diesen Punkt hat übrigens Jesus durch die Evangelien hindurch im neuen Testament an den Pharisäeren und Schriftgelehrten angeprangert.
Wir dürfen sein, wie wir sind, uns entfalten wie Schmetterlinge und an unserem Platz, in unseren Farben leuchten.
An mir habe ich festgestellt, dass ich Stück für Stück Veränderungen erlebe. Ich tue Dinge von mir aus nicht mehr, z.B. Lügen sind weniger geworden oder es fällt mir auf, wenn es doch passiert (wir sind nicht perfekt) oder ich tratsche weniger über andere usw. Aus eigener Kraft ist es nicht möglich, uns an die Gebote zu halten, auch das ist ein Geschenk.

Zu den 10 Geboten noch eine Anmerkung:
Gott hat nichts davon, wenn wir die Gebote einhalten. Es sind Dinge, die uns, jeden auf seine Weise, vor Schaden bewahren und uns frei machen sollen. Ist darin nicht die große Liebe Gottes zu lesen, wie in einem Brief an uns? Vielleicht schreibe ich davon nochmal in einem eigenen Beitrag … wir werden sehen 🙂.

Ich möchte noch ein krasses Zeugnis im Youtube-Kanal von ERF MenschGott mit Euch teilen:

Mein eigenes Erleben hat mich zu einer ganz anderen Art von Freiheit geführt. Eine Freiheit, die nur Gott schenken kann und die so anders ist, als erwartet.

Ist es nicht Zeit die Mauer im Herzen einzureisen? Sei behütet!

PS:
Happy Birthday, Blog! Es hat viel Mut erfordert, aber ich kann sagen: Das Schreiben über meinen Glauben macht mein Leben reicher und ich hoffe so sehr, dass Euch die Texte auch Impulse, vielleicht sogar etwas Mut geben. Wenn Euch der Blog gefällt, würde ich mich sehr über ein Teilen freuen… danke 💐 .

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